Ein kleines Mädchen im Feld
- Claas Terpoorten

- 13. Apr. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Aug. 2022
Die kurze Geschichte über eine vielsagende Begegnung in Bolivien und die Hintergründe dieser.
In Bolivien:
Letztens kam sie mir wieder ... die Erinnerung an eine nebensächliche, aber vielsagende Begegnung in Bolivien. Auf dem Rückweg von ein paar Wasserfällen in der Nähe von Sucre wissen wir nicht mehr genau, wo es lang geht, und auf dem hügeligen Feld kommen uns drei ca. zehn Jahre alte Kinder entgegen. Wir haben uns gefreut, hoffentlich Hilfe zu bekommen und fragen sie super freundlich nach dem Weg. Das eine Mädchen ist schüchtern und sagt gar nichts, der Junge beleidigt uns mit schwer zu verstehenden Schimpfworten und das andere Mädchen verlangt Geld für die Auskunft. Die Spontanität und Selbstverständlichkeit des Verhaltens der Kinder hat mich erschüttert...

Natürlich - man sieht die Armut in den Ländern und fühlt die Grausamkeit. Aber drei unschuldige kleine Kinder, die eigentlich erleichtert und fröhlich in den Wiesen spielen sollten, fangen an, andere aus tiefer Überzeugung zu beleidigen und abzuzocken?
Was steckt hinter dem Verhalten der Kinder? Welche Familien stehen dahinter? Welche Überzeugungen haben diese Familien? Der Luxus von Bildung und die Möglichkeit des Reisens sind für diese Familien unerreichbar. Sie kämpfen jeden Tag ums Überleben und hassen die Reichen und Touristen aus tiefem Herzen.
Bei den Präsidentschaftswahlen im November 2019 geht es um die Wiederwahl von Evo Morales. Er kommt aus einer armen Familie, ist unglaublich korrupt und will das Land in eine Diktatur bewegen. Er ist der Held der Armen und der Feind der Gebildeten. Die Wahlen werden höchstmöglich manipuliert und es sieht erst gut für Evo aus.
Noch während der Wahlen ist die Situation zwischen Evo-Anhängern und Anhängern anderer Parteien angespannt. Firmen werden niedergebrannt, Studenten werden auf offener Straße umgebracht und die Gewaltbereitschaft insbesondere auf der Seite der Evo-Anhänger steigt. Aus Angst der Bevölkerung in eine ähnliche Situation wie Venezuela zu kommen, verliert Evo überraschend doch die Macht. Die Situation eskaliert. Evo-Anhänger ziehen durch die Straßen, um Menschen aus Hass zu töten. Sie zwingen die Inhaber von Unternehmen Aussagen pro Evo zu treffen und brennen deren Geschäfte nieder. Menschen rennen um ihr Leben, es gibt keine Sicherheit mehr, weniger Jobs, mehr hungernde Familien und viel mehr Tote!
In unserer westlichen Welt:
Das sind Geschichten und Ereignisse, die in der Welt da draußen absolut normal sind, in unserer westlichen Welt jedoch unvorstellbar und fern erscheinen. Wir kennen das Gefühl nicht, Angst um das eigene Leben oder vor dem Hungertod des eigenen Kindes zu haben...Unsere größte Angst ist es, keinen Animoji mit unserem Handy machen zu können oder keine Barilla-Soße mehr im Regal zu finden.
In den Nachrichten kam ein 30-Sekunden Beitrag darüber, wie Evo glücklich und lachend Asyl in Mexiko gewährt wird. Über den Sieg von Bayern München oder im besten Fall die neue Show von Conchita Wurst wird jeweils 3 Minuten berichtet...

Vor dem Hintergrund der lebensfeindlichen und verbitterten Bedingungen, die in den ärmsten Schichten der bolivianischen Bevölkerung herrschen, kann ich die Reaktionen der Kinder und den Hass der Ärmsten auf die Reichen und die Touristen nachvollziehen. Die Gegebenheiten sind höchst unverhältnismäßig und die meisten werden nie eine Chance auf Bildung oder die Flucht aus ihrem Leben haben.
Lasst uns doch einfach dankbar sein. Dankbar dafür, dass wir hier unter den besten Bedingungen leben dürfen. Dankbar dafür, dass wir uns nicht um den Hungertod unserer Kinder sorgen müssen. Und dankbar dafür, dass wir es uns erlauben können, uns jeden Tag mit solch einem Luxus zu beschäftigen! <3



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